Mehr als 100 Holocaust-Opfer aus der Großgemeinde Borken?


In dem „Gedenkbuch des Bundesarchivs zu den Opfern der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945“ finden sich über 100 Namen mit einem Bezug zur Großgemeinde Borken. Allein aus der Kernstadt werden 80 ermordete Bürgerinnen und Bürger aufgeführt, die in Borken geboren wurden oder in der Bergbaustadt gelebt haben. Für den heutigen Stadtteil Dillich zählt das Gedenkbuch 32 Namen auf. Auch in Kleinenglis, Freudenthal, Großenenglis und Kerstenhausen lebten vereinzelt Juden.

Die hohe Zahl der ermordeten Borkener Jüdinnen und Juden erstaunt und schockiert. Derzeit ist nur wenig über das Schicksal dieser Bevölkerungsgruppe bekannt, die zeitweilig mehr als 15 Prozent der Gesamteinwohnerzahl ausmachte. Über die Dillicher Jüdinnen und Juden hat dankenswerterweise Emmerich Haindl Fakten zusammengetragen, die in der Chronik „1000 Jahre Dillich“ veröffentlicht wurden. Hier ist von 11 Holocaustopfern die Rede. Die Differenz zu den im Gedenkbuch aufgeführten 32 Ermordeten erklärt sich vor allem daraus, dass das Bundesarchiv auch die in Dillich geborenen und z.B. nach einer Heirat in andere Städte verzogenen Personen mitaufführt. Außerdem beinhaltet die Auflistung des Bundesarchivs Personen, die nur zeitweise in Dillich lebten, dann in andere Städte umzogen und somit von anderen Orten aus deportiert wurden. Diese Erfassungskriterien gelten auch für die im Gedenkbuch benannten jüdischen Einwohner der Kernstadt.

Das Gedenkbuch führt als Todesstätten die Vernichtungslager Sobibor und Treblinka, die Konzentrationslager Stutthof, Sachsenhausen und Majdanek, das Sammellager Westerbork in den Niederlanden, die Ghettos in Warschau, Belzyce und Izbica sowie die Städte Minsk, Kaunas und Raasiku auf. Im Vernichtungslager Auschwitz und im Ghetto Theresienstadt (Terezin) sollen jeweils 25 Borkener Bürgerinnen und Bürger ums Leben gebracht worden sein.

Der Geschichtsverein Borken erforscht derzeit das Schicksal der jüdischen Bevölkerung und arbeitet hierzu mit der Forschungsgruppe SIKARON aus Felsberg zusammen. Der Begriff SIKARON ist hebräisch und bedeutet Gerechtigkeit. Das Projekt ist der Synagoge Felsberg angegliedert, wertet seit vielen Jahren Akten im Bereich der Familien- und Regionalgeschichte aus und kann auf umfangreiches Datenmaterial zurückgreifen. So wurden z.B. die Namenslisten der Gräber der Jüdischen Friedhöfe in Borken und in Haarhausen erfasst und genealogisch dokumentiert.

Christian Lehmann, der das Projekt SIKARON ins Leben rief, recherchiert derzeit in einem besonderen Bestand des Bundesarchivs in Berlin. Er sichtet Unterlagen und persönliche Dokumente, die Jüdinnen und Juden vor ihrer Deportation und vor ihrer Zugfahrt in den Tod in einem Briefumschlag mit sich führten und am Bahnhof den wartenden Beamten der Geheimen Staatspolizei übergeben mussten. Folglich zählen Rentenpapiere, Heirats- und Geburtsurkunden, Familienstammbücher, Kriegsauszeichnungen und Arbeitsnachweise zu den Archivalien – eben Dokumente, die man bei einer Deportation ins Ungewisse mit sich führte. Werden Remigranten künftig ähnliche Dokumente zusammenstellen müssen?

Lehmann gleicht die Datensätze des Bundesarchivs mit den von ihm ermittelten Fakten ab, um Fehler, Doppelnennungen oder Falschangaben auszuschließen – ein arbeitsintensives Unterfangen.

79. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz
Der Geschichtsverein Borken und das Stadtarchiv hoffen, möglichst viele, gesicherte Informationen zur jüdischen Geschichte der Großgemeinde zusammentragen zu können und werden über den weiteren Fortgang der Recherchen berichten. Der Verein und das Stadtarchiv Borken erinnern zum 27. Januar, dem Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee, an die mit hoher Wahrscheinlichkeit 25 dort ermordeten Borkener Jüdinnen und Juden sowie an die anderen Borkener Opfer des Völkermords.

Wer Interesse hat, kann das digitale Gedenkbuch unter der Internetadresse https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/ einsehen, unter den Suchbegriffen Borken, Dillich, usw. selbst recherchieren und die Namen der Ermordeten ermitteln.